Vater und Braut

Wenn der Vater seine Tochter zum Altar führt, bleibt kein Auge trocken. Doch dieser Brauch ist sehr umstritten.

Aus amerikanischen Filmen ist dies gut bekannt: Während der Bräutigam mit seinem Trauzeugen vor dem Altar wartet, führt der Brautvater die Braut in die Kirche. Nicht das Ehepaar, sondern Vater und Tochter ziehen durch den festlich geschmückten Mittelgang in die Kirche ein. Erst vorne im Altarraum nimmt der Bräutigam seine Braut aus der Hand des Vaters in Empfang.

Ein archaischer Brauch

Was viele nicht wissen: Dieser gerade für die Eltern sehr berührende Moment ist ein patriarchalischer Brauch. Moderne Paare, die vor ihrer Trauung bereits jahrelang zusammengelebt haben, mögen sich fragen, ob diese Form der „Übergabe“ für ihre Lebenssituation stimmig ist oder ob nicht der gemeinsame Weg zum Altar die richtige Ausdrucksform für sie ist. Im Gegensatz zu der Brautführung zeugt er von der freien, selbstverantworteten Entscheidung des Paares für ihren gemeinsamen Weg.

Situationen, in denen der Brauch sinnvoll ist

Dennoch mag es Situationen geben, in denen dieser Brauch auch heute einen guten Sinn hat. Beispielsweise wenn die Braut sehr früh heiratet und es den Eltern schwer fällt, sie ziehen zu lassen. Mit dieser Geste vollzieht der Vater symbolisch die Aufgabe, die vor ihm liegt: Er muss seine Tochter loslassen und sie ihrem Mann anvertrauen. Auch andere Gründe (Krankheit, Wegzug, besondere Geschichte) können dafür sprechen, diesen alten Brauch zu wählen.

Vielleicht möchten Sie sich überlegen:

  • Was möchten Sie mit ihrem Einzug vermitteln?
  • Wer soll Ihren versammelten Freunden und Verwandten als erstes gemeinsam entgegentreten: Vater und Tochter oder Sie beide als Paar?
  • Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihren Ursprungsfamilien? Passt das Bild der Übergabe? (Würde sich auch der Bräutigam von seiner Mutter hereinführen lassen?)
  • Möchten Sie das selbst oder machen Sie es Ihrem Vater zuliebe?

Andere Formen der Beteiligung der Eltern

Meist gibt es aber auch andere Möglichkeiten, die besondere Rolle der Eltern im Gottesdienst hervorzuheben:

  • Der Vater kann sich mit einer Lesung beteiligen oder an den Fürbitten teilnehmen.
  • Braut und Bräutigam können zu Beginn des Gottesdienstes das Wort an die Eltern richten und ihnen mit einem kleinen Geschenk für die Begleitung und Unterstützung seit der Kindheit bedanken. Damit kann gezeigt werden: Die Beziehung zu den Eltern erlischt mit der Trauung nicht, aber sie ändert sich.
  • In der Rede des Brautvaters bei der Feier können Sie alle Emotionen hineinlegen, die zu dem Abschied eines Kindes aus dem Elternhaus gehören.

Im Vorgespräch kann die Einbindung der Eltern mit der Pfarrerin oder dem Pfarrer besprochen und geklärt werden.

Ein patriarchalisches Symbol

Brautvater führt die Braut in die Kirche

Symbolisch knüpft der Brauch an die alte germanische Tradition der Übergabe der Braut von einer Familie in die andere an: Von nun an wird sie nicht mehr in ihr Elternhaus, sondern in die Familie ihres Mannes gehören. Die Braut wechselte quasi vom Machtbereich ihres Vaters in den Herrschaftsbereich ihres Ehemannes.

09.05.2022

Anne Lüters